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EuGH: Der teilweise Ausschluss der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten von deutschen Leichtathletikmeisterschaften der Senioren im Amateursport kann gegen Unionsrecht verstoßen

Die Teilnahme an Deutschen Leichtathletikmeisterschaften in der Kategorie der Senioren im Amateursport stand zunächst Angehörigen anderer Mitgliedstaaten offen, wenn sie seit mindestens einem Jahr ein Startrecht für einen deutschen Verein oder eine deutsche Leichtathletik-Gemeinschaft besaßen.

Am 17. Juni 2016 änderte der Deutsche Leichtathletikverband e. V. (im Folgenden: DLV) die Deutsche Leichtathletikordnung, so dass diese Möglichkeit entfiel. Nach Angaben des DLV könne den betreffenden Athleten jedoch in bestimmten Fällen und unter bestimmten Bedingungen ein Teilnahmerecht außer Wertung eingeräumt werden. Der DLV begründet diese Änderung damit, dass deutscher Meister nur ein Athlet deutscher Staatsangehörigkeit werden solle, der für internationale Meisterschaften unter der Abkürzung „GER“, die für das Wort „Germany“, also Deutschland, stehe, startberechtigt sei.

Aufgrund dieser Änderung wurde Herr Biffi, ein in Deutschland ansässiger italienischer Staatsangehöriger, der seit 2012 in der Kategorie der Senioren an Deutschen Meisterschaften im Amateursport teilgenommen hatte, im März 2017 von einer Meisterschaft ausgeschlossen. Bei einer Ende Juni/Anfang Juli 2017 stattfindenden Meisterschaft wurde ihm ein Teilnahmerecht nur „„außer Wertung“ bzw. „ohne Wertung“ eingeräumt, an etwaigen Qualifikations- und Endläufen durfte er nicht teilnehmen.

Herr Biffi und der Berliner Sportverein TopFit, dessen Mitglied er ist, haben vor dem Amtsgericht Darmstadt (Deutschland) geklagt, damit Herr Biffi zur Teilnahme an künftigen Deutschen Leichtathletikmeisterschaften für Senioren in Wertung zugelassen wird. Ihrer Auffassung nach erfüllt Herr Biffi mit Ausnahme der deutschen Staatsangehörigkeit alle vom DLV geforderten Voraussetzungen, insbesondere hinsichtlich der Leistungen.

Das Amtsgericht Darmstadt befragt den Gerichtshof, ob eine solche Voraussetzung der Staatsangehörigkeit eine unionsrechtswidrige Diskriminierung darstellt.

Genauer gesagt möchte es wissen, ob das Unionsrecht einer Regelung eines nationalen Sportverbands wie der fraglichen entgegensteht, wonach ein Unionsbürger, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats und seit vielen Jahren in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem der Verband seinen Sitz hat und er als Amateur in der Kategorie der Senioren den Laufsport ausübt, nicht wie Staatsangehörige des Mitgliedstaats in dieser Disziplin an nationalen Meisterschaften oder nur „außer Wertung“ bzw. „ohne Wertung“ teilnehmen kann, ohne Zugang zum Endlauf zu haben und ohne den nationalen Meisterschaftstitel erlangen zu können.

Mit seinem Urteil vom heutigen Tag antwortet der Gerichtshof, dass das Unionsrecht1 in einer solchen Fallkonstellation einer solchen Regelung entgegensteht, es sei denn, sie ist durch objektive Erwägungen gerechtfertigt, die in einem angemessenen Verhältnis zu einem legitimerweise verfolgten Zweck stehen, was zu prüfen Sache des Amtsgerichts Darmstadt ist.

Der Gerichtshof hebt hervor, dass es legitim erscheint, die Verleihung des Titels des nationalen Meisters in einer bestimmten sportlichen Disziplin einem nationalen Staatsangehörigen vorzubehalten, da dieses nationale Element als charakteristisches Merkmal des nationalen Meisterschaftstitels angesehen werden kann. Jedoch müssen die sich aus der Verfolgung dieses Ziels für die Unionsbürger ergebenden Beschränkungen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.

Insoweit scheinen die beiden vom DLV vorgebrachten Rechtfertigungsgründe nicht auf objektiven Erwägungen zu beruhen.

Was nämlich zum einen die Bestimmung des nationalen Meisters angeht, der sein Land bei internationalen Meisterschaften vertritt, wählt der DLV die Teilnehmer an internationalen Meisterschaften der Kategorie der Senioren nicht selbst aus.Vielmehr können die Athleten, die Mitglieder eines zum DLV gehörenden Vereins sind und die Leistungskriterien erfüllen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit an Meisterschaften teilnehmen und sich hierfür anmelden. Somit kann eine Person, die eine andere Staatsangehörigkeit als die deutsche besitzt, für Deutschland antreten und Europameister der Senioren im Laufen werden.

Was zum anderen die behauptete Notwendigkeit einheitlicher Regelungen für alle Altersklassen angeht, so findet diese in den Erklärungen des DLV keine Stütze, wonach er nur in der Kategorie des Spitzensports die besten nationalen Athleten zur Teilnahme an internationalen Wettbewerben auswählt.

Es ist Sache des Amtsgerichts Darmstadt, zu prüfen, ob es andere Rechtfertigungsgründe für die Regelungen gibt, wonach Personen, die keine Inländer sind, nicht für nationale Meisterschaften zugelassen werden.

Bei dieser Prüfung muss das Amtsgericht berücksichtigen, dass es den Ausschluss für die Kategorie der Senioren in Deutschland jahrelang nicht gab. Des Weiteren muss es das Ziel der Unionsrechts, Wettbewerbe zugänglicher zu machen, sowie die Bedeutung der Integration von im Aufnahmemitgliedstaat ansässigen Personen – vor allem derer, die dort wie vorliegend Herr Biffi für einen langen Zeitraum ansässig sind – berücksichtigen.

Da es einen Mechanismus für die Beteiligung eines ausländischen Athleten an einer nationalen Meisterschaft gibt, zumindest für die Qualifikationsrunden und/oder außer Wertung, erscheint es im Übrigen jedenfalls unverhältnismäßig, einen solchen Athleten wegen seiner Staatsangehörigkeit vollständig von den Meisterschaften auszuschließen.

Quelle: Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshof Nr. 72/19 vom 13. Juni 2019.