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EuGH: Umfang der Auskunftspflicht der EU-Kommission

Die Kommission kann den Zugang zu Schriftsätzen der Mitgliedstaaten, die sich in ihrem Besitz befinden, nicht allein deshalb verweigern, weil es sich um Dokumente im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren handelt.

Der Gerichtshof bestätigt das Urteil des Gerichts, wonach über einen solchen Zugangsantrag auf der Grundlage der Verordnung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zu entscheiden ist

Im März 2011 beantragte Herr Breyer bei der Kommission, ihm Zugang u. a. zu Schriftsätzen zu gewähren, die Österreich im Rahmen eines von der Kommission gegen diesen Mitgliedstaat eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens wegen unterbliebener Umsetzung der Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten beim Gerichtshof eingereicht hatte.

Dieses Gerichtsverfahren wurde mit Urteil des Gerichtshofs vom 29. Juli 2010 abgeschlossen. Die Kommission verweigerte den Zugang zu den genannten Schriftsätzen, von denen sich eine Abschrift in ihrem Besitz befindet, mit der Begründung, dass sie nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission3 fielen. Herr Breyer erhob daraufhin beim Gericht der Europäischen Union Klage auf Nichtigerklärung des ablehnenden Beschlusses.

Mit Urteil vom 27. Februar 2015 gab das Gericht der Klage von Herrn Breyer statt und erklärte den Beschluss der Kommission für nichtig. Das Gericht war der Ansicht, dass die Kommission den Zugang zu Schriftsätzen, die von Mitgliedstaaten im Rahmen eines Verfahrens vor dem Gerichtshof eingereicht werden und von denen sie Abschriften besitzt, nicht ohne weiteres mit der Begründung verweigern dürfe, dass es sich um Gerichtsdokumente handele. Über einen solchen Zugangsantrag sei immer auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1049/2001 zu entscheiden.

Mit ihrem dagegen beim Gerichtshof eingelegten Rechtsmittel hat die Kommission beantragt, das Urteil des Gerichts aufzuheben und die Klage von Herrn Breyer endgültig abzuweisen.

Mit seinem Urteil vom heutigen Tag weist der Gerichtshof das Rechtsmittel der Kommission zurück und bestätigt somit das Urteil des Gerichts.

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass er nicht darüber zu entscheiden hat, ob die Kommission Herrn Breyer Zugang zu den in Rede stehenden Schriftsätzen gewähren muss, sondern nur darüber, ob der Zugangsantrag von Herrn Breyer in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 fällt.

Sodann bestätigt der Gerichtshof, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 auf einen Antrag, wie Herr Breyer ihn gestellt hat, anwendbar ist.

Dass die Verordnung Nr. 1049/2001 nicht auf Anträge Anwendung findet, mit denen Zugang zu Dokumenten begehrt wird, die an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet sind, bedeutet nicht, dass Dokumente, die im Zusammenhang mit der Rechtsprechungstätigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union stehen, grundsätzlich vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen wären, wenn sie sich im Besitz der in der Verordnung aufgezählten Unionsorgane, wie der Kommission, befinden.

Die legitimen Interessen der Mitgliedstaaten in Bezug auf solche Dokumente können mit den in der Verordnung vorgesehenen Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten geschützt werden. So sieht die Verordnung vor, dass die Organe den Zugang zu einem Dokument insbesondere dann verweigern, wenn durch seine Verbreitung der Schutz von Gerichtsverfahren beeinträchtigt würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung des betreffenden Dokuments.

Diese Ausnahme soll gewährleisten, dass das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe ausgeübt wird, ohne den Schutz von Gerichtsverfahren zu beeinträchtigen. Zu diesem Schutz gehört insbesondere, dass die Grundsätze der Waffengleichheit und der geordneten Rechtspflege gewahrt werden.

Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass er eine allgemeine Vermutung dafür anerkannt hat, dass die Verbreitung der von einem Organ in einem Gerichtsverfahren eingereichten Schriftsätze den Schutz dieses Verfahrens im Sinne der genannten Ausnahme beeinträchtigt, solange das Verfahren anhängig ist. Diese allgemeine Vertraulichkeitsvermutung gilt auch für die von einem Mitgliedstaat in einem Gerichtsverfahren eingereichten Schriftsätze.

Der Gerichtshof weist auch darauf hin, dass nach der Verordnung Nr. 1049/2001 ein Mitgliedstaat das Organ ersuchen kann, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten. Dem Mitgliedstaat wird damit jedoch kein allgemeines und unbedingtes Vetorecht verliehen, aufgrund dessen er der Verbreitung von im Besitz eines Organs befindlichen Dokumenten, die von ihm stammen, nach freiem Ermessen widersprechen könnte.

Darüber hinaus hebt der Gerichtshof hervor, dass nach dem Vertrag von Lissabon zwar der Gerichtshof der Europäischen Union, wenn er Rechtsprechungsaufgaben wahrnimmt6, von der Regelung über den Zugang zu Dokumenten ausgenommen bleibt, jedoch der Anwendungsbereich des Transparenzgrundsatzes im Unionsrecht durch den Vertrag erweitert worden ist mit dem Ziel einer offenen europäischen Verwaltung.

Abschließend entscheidet der Gerichtshof, dass Herr Breyer die Hälfte der ihm im Zusammenhang mit dem vorliegenden Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen hat, obwohl die Kommission mit ihren Anträgen vollständig unterlegen ist. Herr Breyer hat nämlich anonymisierte Fassungen der im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens gewechselten Schriftsätze im Internet veröffentlicht. Diese nicht genehmigte Veröffentlichung stellt eine unangemessene Verwendung von Verfahrensunterlagen dar, die der geordneten Rechtspflege schaden kann und der bei der Aufteilung der Kosten im Rahmen des vorliegenden Verfahrens Rechnung zu tragen ist.

Urteil in der Rechtssache C-213/15 P Kommission / Patrick Breyer

Quelle: Pressemitteilung Nr. 80/17 des EuGH v. 18.07.2017