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STATUS QUO | Europäisches Parlament gibt grünes Licht zur Modernisierung des Urheberrechts

Am 12. September hat das Plenum des Europäischen Parlaments (EP) im zweiten Anlauf den Vorschlag des Berichterstatters Voss mit 438 Stimmen bei 226 Gegenstimmen und 39 Enthaltungen in erster Lesung angenommen. Die EU-Kommission hatte während der Debatte am Vortrag eindringlich darauf hingewiesen, dass bei erneutem Scheitern des Richtlinienentwurfs (RL-E) sich dieser aufgrund der anstehenden Europawahlen 2019 um Jahre verzögern würde. Damit wird die vom EP in weiten Teilen veränderte Fassung des RL-E nun den Trilogverhandlungen zwischen Rat und EP unter Beteiligung der EU-Kommission überstellt.

Der RL-E, der das Urheberrecht an die digitalen Anforderungen anpassen soll, enthält eine Reihe von Regelungen zur Werknutzung im Bereich grenzüberschreitender Lehre und Forschung, zur erleichterten Rechteklärung oder zum Urhebervertragsrecht. Daneben sind Maßnahmen zur Verbesserung der Positionen der Rechteinhaber im Hinblick auf Verhandlungen und ihre Vergütung für die Verwertung ihrer Inhalte durch Online-Dienste umfasst.

Im Mittelpunkt kontroverser Auseinandersetzungen standen insbesondere die EU-weite Einführung eines Presseverleger-Leistungsschutzrechts in Artikel 11 sowie die Haftung spezieller Online-Plattformbetreiber in Artikel 13 RL-E. Beide Regelungen waren Gegenstand einer regelrechten Lobby-Schlacht. Upload-Filter und Zensurvorwürfe standen und stehen weiter im Raum.

Dem Berichterstatter ist es letztlich unter Zuspitzung seiner Argumente auf die Marktmacht US-amerikanischer Plattformbetreiber und dem notwendigen Schutz der europäischen Kreativindustrie gelungen, eine klare, fraktionsübergreifende Mehrheit für seinen Vorschlag und die genannten, streitigen Maßnahmen zu finden.

Das neue europäische Verlegerrecht: Artikel 11, Erwägungsgründe 31-34 RL-E

Artikel 11 des RL-E soll dem Erhalt des Qualitätsjournalismus Rechnung tragen. Danach erhalten Presseverleger für die kommerzielle digitale Nutzung ihrer Presseveröffentlichungen durch Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft „eine faire und angemessene Vergütung“. Hierzu wird ihnen ein Vervielfältigungsrecht und ein Recht der öffentlichen Zugänglichmachung zugestanden (gem. Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 2 der Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG (UrhRL)). Die Urheber sollen angemessen an diesen zusätzlichen Einnahmen beteiligt werden. Die Schutzdauer soll „nur“ noch fünf und nicht wie anfangs vorgesehen 20 Jahre betragen.

Von dem neuen Recht nicht umfasst werden „die rechtmäßige private und nichtgewerbliche Nutzung“. Die Reichweite des Nutzungsrechts wurde vom EP in der Plenarsitzung marginal eingeschränkt: Lediglich Hyperlinks in Suchmaschinen, die mit „einzelnen Worten“ verknüpft sind, sollen nicht in den Schutzbereich fallen. Demgegenüber wären Auszüge aus Online-Presseartikeln, die nicht an der urheberrechtlichen Schöpfungshöhe („Originalität“) anknüpfen wie auch Überschriften oder kleinere Textausschnitte sehr wohl erfasst, also entsprechend zu vergüten. Auch die Autoren sollen, so Artikel 11 Absatz 4 a. RL-E, einen angemessen Anteil an diesen zusätzlichen Einnahmen der Verlage erhalten.

Diese Regelung des RL-E lässt ebenso wie die deutsche Regelung zum Leistungsschutzrecht der Presseverleger in § 87 f UrhG die notwendige Klarheit vermissen. Der schwelende Streit über den grundsätzlichen Erfolg einer solchen Regelung und dem Umfang noch zulässiger, vergütungsfreier Textauszüge (sog. Snippets) wird sich mit dem derzeitigen Wording wahrscheinlich auch auf europäischer Ebene fortsetzen. In den Mitgliedstaaten besteht bisher keine politische Einigkeit über die Notwendigkeit und den Umfang eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger. Eine Evaluierung der deutschen Regelung steht immer noch aus.

Neuregelung zur Verlegerbeteiligung: Artikel 12, Erwägungsgründe 35, 36 RL-E

Art. 12 des RL-E sieht vor, dass (Presse-, Musik- oder Buch-) Verleger adäquat an den Ausgleichszahlungen beteiligt werden sollen, die die Verwertungsgesellschaften an die Urheber im Rahmen gesetzlich vorgesehener Vergütungsansprüche (Ausnahmen- oder Schrankenregelungen wie z.B. die Privatkopie) auskehren.

In Deutschland werden z.B. Verlage nach der sog. „Vogel“-Entscheidung des BGH aus 2016 nicht mehr pauschal an den Ausschüttungen der VG Wort beteiligt. Gemäß Art. 12 RL-E soll die Rechteübertragung respektive die Lizenzvergabe des Urhebers an den Verleger für diesen eine ausreichende Rechtsgrundlage darstellen, um an den gesetzlichen Vergütungsansprüchen beteiligt zu werden.

Unberührt bleiben die in den Mitgliedstaaten getroffenen Regelungen, wie Vereinbarungen zum öffentlichen Verleihrecht, zu kollektiven Lizenzvergaberegelungen oder zu gesetzlichen Vergütungsrechten.

Schutz von Sportereignissen: Artikel 12 a des RL-E

Das EP etabliert – anders als im Vorschlag der EU-Kommission – unter Hinweis auf die Einzigartigkeit von Sportereignissen und deren Originalcharakter ein Leistungsschutzrecht für Sportveranstalter. Bislang hätten nur fünf (darunter Frankreich) Mitgliedstaaten Sportveranstaltern ein verwandtes Schutzrecht eingeräumt. Nach Artikel 12 a RL-E sollen dem Sportveranstalter das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung gemäß Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 2 der UrhRL sowie das Aufzeichnungsrecht gemäß Artikel 7 der Vermiet- und Verleihrichtlinie 2006/115/EG gewährt werden. In Deutschland wird bislang das Hausrecht herangezogen, um (mediale) Vermarktungsrechte des Sportveranstalters zu begründen.

Neue Haftungsregelungen für „Anbieter von Online-Inhaltsweitergabediensten“: Artikel 2 und 13, Erwägungsgründe 21c, 37 39b des RL-E

Vor allem Artikel 13 wurde, gemessen am ursprünglichen Kommissionsvorschlag, maßgeblich vom EP verändert: Das unausgereifte und teilweise unschlüssige Wording des Berichtes des Rechtsausschusses wurde im Plenum mit Blick auf die Sicherstellung der neu umzusetzenden Lizenzvereinbarungen zwischen den Anbietern von Online-Inhaltsweitergabediensten und den Rechteinhabern etwas entschärft, die Notwendigkeit von Upload-Filtern jedoch nicht ausgeräumt:

Klarer gefasst wurde der Kreis der betroffenen Dienstanbieter in Abgrenzung zum reinen Hosting (Artikel 14 der E-Commerce-Richtlinie (Richtlinie 2000/31/EG (E-ComRL)) entlang der aktuellen Rechtsprechung: Es reicht nunmehr nicht aus, dass es sich um einen Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft handelt, bei dem „einer der Hauptzwecke darin besteht, die von Nutzern hochgeladenen Inhalte zu speichern und zugänglich zu machen“. Vielmehr muss dieser (unabhängig von den Mitteln) optimierend eingreifen und die Inhalte zum Zwecke der Gewinnerzielung bewerben. Damit werden Anleihen an der bisherigen Rechtsprechung des EuGH genommen, der für die Frage nach der Anwendbarkeit der Haftungsprivilegierung nach der E-ComRL unterscheidet, ob ein Host-Provider eine passive oder eine aktive Rolle einnimmt. Erwägungsgrund 37 a RL-E bekräftigt, dass neben der Wiedergabe auch die Verschlagwortung, die Verwahrung oder Sequenzierung der hochgeladenen Werke als ein aktives Tun für die Anwendbarkeit des 13 RL-E hinzukommen müsse.

Zudem muss der o.g. Anbieter „wesentliche Mengen“ hochgeladener Inhalte seiner Nutzer vorhalten, ein Zusatz, der ursprünglich im Kommissionsvorschlag vorgesehen, vom jedoch Rechtssauschuss zuvor gestrichen wurde. Desweitern schließt der jetzige Standpunkt des EP (in Artikel 2 Nr. 4 b. RL-E) Online-Enzyklopädien, Bildungsplattformen, Cloud-Anbieter, Handelsplätze und nunmehr auch „Kleinst- und Kleinunternehmen“ vom Anwendungsbereich des Artikel 13 RL-E aus. Ob ein abschließender Ausnahmekatalog an dieser Stelle zukunftstauglich ist und technischen Neuerungen standhält, ist zu bezweifeln.

Das Speichern und Zugänglichmachen von Inhalten Dritter durch die o.g. Anbieter von Online-Inhaltsweitergabediensten wird ohne weitere Differenzierung als „öffentliche Wiedergabe“ deklariert. Dies soll unabhängig davon gelten, ob nach Art. 3 der UrhRL und der Rechtsprechung des EuGH eine Handlung der öffentlichen Wiedergabe anzunehmen ist. Dadurch besteht die Gefahr, dass innerhalb der Regelungen eines Gesetzes derselbe Begriff unterschiedlich auszulegen wäre.

Aus Artikel 13 RL-E resultiert die Verpflichtung des Anbieters von Online-Inhaltsweitergabediensten Lizenzvereinbarungen mit den Rechteinhabern abzuschließen. Die Lizenzvereinbarungen müssen Regelungen zur Haftung des Dienstanbieters für etwaige Urheberrechtsverletzungen seiner Nutzer miteinbeziehen. Etwas anderes gilt nur, wenn die Nutzer die Plattform zu gewerblichen Zwecken oder als Rechtsinhaber nutzen (vgl. Artikel 13 Absatz 2 des RL-E). Nur private Nutzer wären durch eine Lizenzvereinbarung vor einer weiteren Inanspruchnahme der Rechteinhaber geschützt. Die Unterscheidung zwischen der Nutzung einer Plattform zu privaten oder gewerblichen Zwecken wird dadurch virulent. Schon ein mäßig erfolgreicher Influencer, der z.B. durch Videos auf Youtube einige EUROs verdienen kann, würde damit trotz Lizenzvereinbarung über die Nutzung von Musikwerken weiterhin die Inanspruchnahme durch Rechteinhaber fürchten müssen. Gleiches gilt z.B. für Imagevideos von Unternehmen.

Nicht mehr im Standpunkt des EP enthalten ist die unmittelbare Verpflichtung des Anbieters von Online-Inhaltsweitergabediensten (angemessene und verhältnismäßige) Maßnahmen zum Schutz der in der Lizenzvereinbarung umfassten urheberrechtlich geschützten Werke zu ergreifen. Auch der ursprünglich von der EU-Kommission exemplarisch angeführte Einsatz von Inhaltserkennungstechnologien wird nicht mehr aufgegriffen. Das „Wie“ der Umsetzung der Lizenzvereinbarungen bleibt offen.

Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, im Fall fehlender Lizenzvereinbarungen für eine Zusammenarbeit der genannten Parteien Sorge zu tragen, damit die Verfügbarkeit nicht umfasster Werke auf der Plattform des Anbieters von Online-Inhaltsweitergabediensten unterbunden wird ohne den Zugriff auf rechtmäßige Inhalte zu beeinträchtigen. Auch diesbezüglich trifft der RL-E keine Festlegungen mehr über das „Wie“ (vgl. Artikel 13 Absatz 2 a. des RL-E). Zudem müssen Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die betreffenden Dienstanbieter im Rahmen bestehender Lizenzvereinbarungen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren zur Verfügung stellen, falls ihre Nutzer (die gegenüber den die Beschwerde bearbeitenden Rechteinhabern anonym bleiben müssen) zu Unrecht eines Urheberrechtsverstoßes bezichtigt werden (vgl. Artikel 13 Absatz 2 b. des RL-E).

Darüber hinaus sollen, so Artikel 3 Absatz 3 RL-E, die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission ab einem noch festzulegenden Zeitpunkt den Dialog zwischen den betroffenen Parteien organisieren und „Best Practices“ (Leitlinien) für die Durchsetzung der Lizenzierungsvereinbarungen entwickeln. Auch hier wird der Bezug auf verfügbare Techniken nicht mehr erwähnt. Vielmehr sind bei der Festlegung „bewährter Verfahren“ die Grundrechte zu beachten, KMUs nicht über Gebühr zu belasten und sicherzustellen, dass keine automatische Sperrung von Inhalten erfolgt. Was Letzteres für die praktische Umsetzung der Verpflichtungen aus der Lizenzvereinbarung für den Anbieter von Online-Inhaltsweitergabediensten bedeutet ist unklar; nicht mehr erwähnt wird der Ausschluss einer allgemeinen Überwachungspflicht.

Auch wenn der Wortlaut des Artikel 13 RL-E nun keine konkreten Festlegungen mehr zur Durchsetzung der Lizenzvereinbarungen zwischen Rechteinhabern und Anbietern von Online-Inhaltsweitergabediensten trifft, bleibt die Frage im Raum, welche Maßnahmen diesen – außer dem Einsatz tauglicher Upload-Filter – überhaupt zur Verfügung stehen. Nur die vollständige, automatisierte Durchleuchtung aller hochgeladenen Inhalte auf deren Rechtmäßigkeit (hier im urheberrechtlichen Sinn) kann dem Anbieter von Online-Inhaltsweitergabediensten den notwendigen Haftungsausschluss bieten. Urheberrechtlich motivierte Upload-Filter könnten ferner ohne größeren Aufwand für andere Zwecke verwandt werden. Dies weckt erhebliche Bedenken hinsichtlich der Grundrechte der Meinungs- und Informationsfreiheit: Schließlich sollen private Unternehmen darüber entscheiden, welche Inhalte angezeigt werden und welche nicht.

Weitere Entscheidungen im Rat sind unabdingbar

Die Ausführungen insbesondere zu Art. 13 RL-E zeigen, dass die Mitgliedstaaten im Trilog aufgefordert bleiben, grundlegende Entscheidungen und weitere Klarstellungen zu treffen, um im RL-E eine für alle Stakeholder ausgewogene und vor allem rechtssichere Lösungen zu schaffen, ohne dabei die Zielsetzungen aus den Augen zu verlieren.

Auch die Sinnhaftigkeit rechtsspezifischer Lösungen neben dem horizontal geltenden Haftungsregime der E-ComRL sollte überdacht werden. So hat sich die deutsche Regierung im Koalitionsvertrag darauf verständigt, eine Weiterentwicklung der Hostproviderhaftung im Rahmen der Revision der E-ComRL prüfen und am bewährten abgestuften Haftungsregime festhalten zu wollen. Den Einsatz von Upload-Filtern durch private Plattformbetreiber lehnt sie hingegen als unverhältnismäßig ab.

Im Rat wird man sich auch mit der weiteren Rechtsprechung auseinandersetzen müssen. Just am 13. September 2018 hat der I. Zivilsenat des BGH dem EuGH Fragen zur Haftung von YouTube für Urheberrechtsverletzungen seiner Nutzer vorgelegt (Beschluss vom 13. September 2018 – I ZR 140/15 – YouTube). Die Vorlagefragen betreffen den Kern der hier im Rahmen des RL-E kontrovers diskutierten Probleme, nämlich ob der Betreiber einer Internetvideoplattform, auf der Nutzer Videos mit urheberrechtlich geschützten Inhalten ohne Zustimmung der Rechtsinhaber öffentlich zugänglich machen, überhaupt eine Handlung der Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der UrhRL vornimmt, ob die Tätigkeit in den Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 der E-ComRL fällt und ob dieser ggf. schadensersatzpflichtig ist. Damit verknüpft sind viele Einzelfragen, die für die Ausgestaltung des aktuellen RL-E richtungsweisend sein könnten.

Der nun in erster Lesung von EP verabschiedete RL-E wurde bereits im September 2016 von der EU-Kommission als Teil eines Gesamtpaketes zur Reform des europäischen Urheberrechts vorgelegt. Dort enthalten sind eine Reihe weiterer Legislativmaßnahmen, wie z.B. auch der Vorschlag für eine Verordnung über Regeln zur Ausübung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in Bezug auf bestimmte Akte der Online-Übertragung von Rundfunkveranstaltern und die Weiterverbreitung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen (COM(2016)594 final; 2016/0284 (COD)), die sogenannte CabSatVO. Auch dieses Gesetzgebungsverfahren geht nur schwer voran und befindet sich seit der ersten Lesung im EP immer noch in den Trilogverhandlungen. Beide Verfahren zeigen die zum Teil erheblich widerstreitenden Interessen von Urhebern und sonstigen Rechteinhabern, Verwertern, Verbrauchern sowie Plattformbetreibern, die die Umsetzung einer ausgewogenen Strategie für einen digitalen Binnenmarkt im Urheberrecht immer wieder auf den Prüfstein stellen.

Den vom EP verabschiedeten Standpunkt zum RL-E (COM(2016)0593 – C8-0383/2016 – 2016/0280(COD)) finden Sie unter http://www.europarl.europa.eu/. Auch in Zukunft informieren wir Sie über die weiteren relevanten Entwicklungen dieser Gesetzgebungsverfahren in unserem Newsletter.