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BVerfG: Verletzung der Pressefreiheit durch ungerechtfertigte Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung

Wird auf dem Titelblatt einer Zeitung eine inhaltlich offene Frage aufgeworfen, so kann nicht allein aufgrund des Eindrucks, dass für die Frage irgendein Anlass bestehen müsse, von einer gegendarstellungsfähigen Tatsachenbehauptung ausgegangen werden. Fragen, die auf die Ermittlung von Wahrheit oder Unwahrheit gerichtet und offen für verschiedene Antworten sind, können keinen Gegendarstellungsanspruch auslösen. Mit dieser Begründung hat die 3. Kammer des Ersten Senats mit heute veröffentlichtem Beschluss der Verfassungsbeschwerde der zu einer Gegendarstellung verurteilten Verlegerin einer Wochenzeitschrift wegen Verstoßes gegen Artikel 5 GG stattgegeben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin ist Verlegerin einer Wochenzeitschrift, auf deren Titelseite sie 2012 die auf einen Fernsehmoderator bezogene Frage publizierte: „Sterbedrama um seinen besten Freund – Hätte er ihn damals retten können?“ Der zugehörige Artikel stellte dar, dass ein ehemaliger Klassenkamerad des Moderators im Jahr 1982 einen tödlichen Herzinfarkt erlitten hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte zwischen beiden bereits seit längerem kein Kontakt mehr bestanden, was der Beschwerdeführerin bekannt war. Sie wurde letztinstanzlich durch das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken zum Abdruck einer Gegendarstellung des Moderators verurteilt. Auf eine erste Verfassungsbeschwerde hin hob das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück, da die Fachgerichte sich nicht in einer den Anforderungen des Grundgesetzes genügenden Weise mit der Einordnung des Fragesatzes auf der Titelseite auseinandergesetzt hatten. Da die Beschwerdeführerin zwischenzeitlich die Gegendarstellung abgedruckt hatte, erklärte der Verfügungskläger das Ausgangsverfahren für erledigt. Das Oberlandesgericht erkannte letztinstanzlich auf Feststellung der Erledigung des einstweiligen Verfügungsverfahrens und erlegte der Beschwerdeführerin die Kosten auf, weil die Beschwerdeführerin zu Recht zur Gegendarstellung verpflichtet worden sei. Hiergegen wendet sich diese mit ihrer erneuten Verfassungsbeschwerde.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Im Zentrum von deren Schutzbereich steht die Freiheit der Gründung und Gestaltung von Presseerzeugnissen. Die Gestaltungsfreiheit wird sowohl in inhaltlicher als auch in formaler Hinsicht gewährleistet und erstreckt sich auch auf das Titelblatt einer Publikation. Die Verpflichtung zum Abdruck von Gegendarstellungen auf dem Titelblatt der Zeitschrift der Beschwerdeführerin beeinträchtigt diese in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit. Angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Titelblatt von Zeitschriften zukommt, ist eine solche Beeinträchtigung regelmäßig als schwerwiegend anzusehen.

Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt. Indem das Oberlandesgericht die Grundrechtsschranke des § 11 Landesmediengesetz (LMG) Rheinland-Pfalz in einer Weise ausgelegt hat, die dem Verfügungskläger auf die hier formulierten Fragen hin einen Gegendarstellungsanspruch zuspricht, hat es Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit nicht hinreichend beachtet. Gegendarstellungsfähig sind nach dieser Vorschrift nur Tatsachen, die die Presse zuvor behauptet hat. Wenn demgegenüber eine Gegendarstellung abgedruckt werden muss, der keine entsprechende Tatsachenbehauptung voranging, ist die Pressefreiheit verletzt. Ebenso liegt ein Verstoß gegen die Pressefreiheit vor, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden muss, obwohl es sich bei der ursprünglichen Veröffentlichung nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt. Hiernach konnte der ermittelte Sinngehalt der Titelseitenüberschrift keinen Gegendarstellungsanspruch begründen. Es handelte sich um eine Frage, der ein hinreichender tatsächlicher Gehalt fehlte.

Der Hintergrund für diese Beschränkung des Gegendarstellungsanspruchs liegt in Folgendem: Dem Gegendarstellungsanspruch liegt zugrunde, dass derjenige, der von einer Tatsachenbehauptung der Presse betroffen ist, dem Bericht mit einer eigenen Darstellung des tatsächlichen Geschehens entgegentreten kann. Das Gegendarstellungsrecht ist damit vom Gesetzgeber als ein begrenztes Instrument ausgestaltet. Es soll Betroffenen die Möglichkeit geben, Tatsachenbehauptungen, die über sie verbreitet werden, unmittelbar inhaltlich entgegen zu treten und damit deren Wahrheitsgehalt in Frage zu ziehen. Dabei handelt es sich um ein Schutzinstrument, das bewusst unabhängig von der Wahrheit der Tatsachenbehauptungen und damit grundsätzlich unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit der Äußerung gewährt wird. Der Betroffene soll so die Möglichkeit bekommen, die Frage der Wahrheit vorläufig in die Schwebe zu bringen. Die Frage, welche Darstellung letztlich die Wahrheit auf ihrer Seite hat und wie weit ein Betroffener erzwingen kann, dass der Äußernde von seiner Äußerung inhaltlich abzurücken oder sie zukünftig zu unterlassen hat, ist dann erforderlichenfalls in anderen Verfahren, etwa im Rahmen einer Unterlassungs- oder Widerrufsklage, zu klären.

Diese Struktur des Gegendarstellungsrechts wird verlassen, wenn das Oberlandesgericht in eine offene Aufmacherfrage die verdeckte Tatsachenbehauptung interpretiert, dass für das Aufwerfen der Frage hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte bestünden. Zwar ist von Verfassungs wegen unbedenklich, dass ein Gegendarstellungsverlangen in Anknüpfung an verdeckte Tatsachenbehauptungen gewährt werden kann. Ergibt eine den Maßgaben der Pressefreiheit genügende Sinnermittlung der ursprünglichen Veröffentlichung, dass sich dem verständigen Empfänger aus dem Gesamtzusammenhang einer Presseberichterstattung der Eindruck bestimmter Behauptungen unabweisbar aufdrängt, so kann hiergegen auch eine Eindrucksgegendarstellung zulässig sein. Voraussetzung ist freilich, dass sich der Eindruck auf bestimmte Tatsachen bezieht. Auch Gegendarstellungen, die an Fragen anknüpfen, sind danach unter Umständen von Verfassungs wegen nicht ausgeschlossen. In der Regel sind allerdings Fragen auf die Ermittlung von Wahrheit oder Unwahrheit gerichtet und offen für verschiedene Antworten. Sie sind nicht gegendarstellungsfähig, denn Tatsachen werden nicht behauptet, sondern allenfalls gesucht. Allein der Eindruck, dass für das Aufwerfen einer inhaltlich offenen Aufmacherfrage irgendein Anlass bestehen müsse, genügt danach zur Annahme einer gegendarstellungsfähigen Tatsachenbehauptung nicht. Jede Frage enthält, indem sie sich auf einen bestimmten Gegenstand bezieht, kraft ihres Gestelltwerdens ausgesprochen oder unausgesprochen Annahmen tatsächlicher oder wertender Art über ihren Gegenstand. In dem diffusen Hervorrufen einer solchen Annahme liegt jedoch nicht die Verbreitung einer eigenständigen Information mit einem bestimmten Inhalt, dessen Wahrheitsgehalt im Sinne des Gegendarstellungsrechts vorläufig in die Schwebe gebracht werden könnte.

Solche Aufmacherfragen können das Problem aufwerfen, ob oder wieweit die betroffenen Personen zum Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht werden dürfen, nicht aber das Problem der Wahrheit oder Unwahrheit bestimmter Aussagen.

Das spiegelt sich auch in der Schwierigkeit, einen als Gegendarstellung kongruenten Text für solche Fälle zu formulieren. Die Gegendarstellung, zu deren Abdruck die Beschwerdeführerin durch das der Kostenentscheidung zugrunde liegende Urteil verpflichtet wurde, verfehlt jedenfalls die diesbezüglichen Anforderungen. Die als Gegendarstellung formulierte Behauptung, dass der Kläger keine Möglichkeit gehabt habe, seinen Freund zu retten, trifft die Aufmacherüberschrift nicht. Denn dass der Kläger eine solche Möglichkeit gehabt habe, hatte die Beschwerdeführerin nie behauptet.

Allerdings kann ein Schutzbedürfnis hinsichtlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch gegenüber Aufmacherfragen bestehen. Sofern diese – wie hier – keine bestimmten Tatsachenbehauptungen enthalten, ist dem Schutzbedürfnis der Betroffenen durch andere presserechtliche Institute Rechnung zu tragen. Der unberechtigten Erörterung ehrverletzender Fragen oder privater Angelegenheiten, auch in der Einkleidung von Aufmacherfragen, kann insbesondere mit der Unterlassungsklage entgegengetreten werden. Soweit Äußerungen in Frage stehen, die allein zur Steigerung des Umsatzes bewusst falsch oder bewusst ohne jede Berechtigung auf Kosten Dritter getroffen werden, kommt auch die Anerkennung einer Entschädigung in Betracht, die künftig zu einem wirksamen Schutz führt.

Quelle: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgericht Nr. 13/2018 vom 14. März 2018